Studentin sucht Gemeinde – Eine digitale Suche nach Gott

Religiöser Glaube, Zugehörigkeit zu einer Kirchengemeinde – das spielt für immer weniger junge Menschen in Deutschland eine Rolle. Und doch kann Religion immer noch Halt und Kraft vermitteln. Eine moderne Suche nach dem richtigen Weg zu glauben.

Ein Hauch von Aufregung liegt in Dianas (Name v. d. Red. geändert) Bewegungen und Sätzen. Ihre Nervosität blitzt nur selten hervor. Die Leichtigkeit ihres Humors und der spöttische Sarkasmus, der viel von ihrer Naivität nimmt, überspielen die leichte Anspannung gut. Doch nach zwei Jahren Freundschaft ist sie eindeutig erkennbar. Sie könnte daher rühren, dass die 26-jährige in einer halben Stunde online mit einer Gruppe fremder Menschen telefonieren wird – und der Grund für dieses Treffen emotional besetzt ist: Es ist Teil des Versuchs, einen neuen Zugang zu ihrem Glauben zu finden.

Diana trifft sich mit einem Online-Hauskreis, Menschen mit unterschiedlichen christlichen Hintergründen, die keine feste Gemeinde haben, aber Austausch suchen. Die Gruppe kommt heute zum ersten Mal zusammen. „Ich hoffe, dort Menschen zu treffen, die ähnlich denken wie ich, offener sind, nicht so sexistisch und so. Vielleicht könnte das nochmal ein Zugang sein.“

Bei Diana zu Hause spielt Glaube keine große Rolle, trotzdem ist sie christlich aufgewachsen: „Ich war in einem christlichen Kindergarten, das war eben der bei uns im Dorf und später sind wir dann in eine freie christliche Grundschule gegangen, weil das eine gute Schule sein sollte.“ Später wechselt sie auf die ebenfalls freie christliche Realschule.

Religiöses Aha-Erlebnis auf der Skifreizeit

Ihr religiöses Aha-Erlebnis hat sie in der Pubertät: „Als wir auf einer Skifreizeit ganz viel über Jesus geredet und Lieder gesungen haben, da hab ich plötzlich gedacht: Der hat mir das geschenkt, ich muss ja gar nichts dafür tun, weil er mir das geschenkt hat, einfach weil er mich liebt; und dann dachte ich so: Boah, krass! Krass! Das hat mich total berührt.“

Von nun an ist der Glaube ein aktiv wichtiger Teil in Dianas Leben: Viele christliche Lieder geben ihr Kraft, sie arbeitet als Jugendleiterin im Kindergottesdienst. Doch sie wird auch von den engen Moralvorstellungen ihrer Freikirche beeinflusst: „Ganz ehrlich, als ich aus der Realschule kam, war ich auch homophob. Ich hatte damit nie Berührungspunkte und habe immer gesagt, das ist doch nicht normal.“

Christin sein oder nicht

Die Trennung von ihrem damaligen Freund, das Studium und die Auseinandersetzung mit der menschlichen Psyche lassen sie immer mehr zweifeln. „Wenn ich ehrlich bin, weiß ich auch nicht genau, ob ich mich noch als Christin bezeichnen würde. Aber ich vermisse das ein bisschen, es hat mir schon immer viel gegeben.“ Christin sein oder nicht – das ist ein Konflikt, der Diana viel beschäftigt.

Die Runde ist zusammengekommen. Nach einem etwas stockenden Beginn berichten die Teilnehmenden von ihren Glaubensvorstellungen. „Was meinen die alle mit konservativ?“ murmelt Diana. Den Begriff assoziiert sie mit all dem, was sie an vielen Glaubensgemeinschaften abschreckt: Frauen, die nicht predigen dürfen, Sittenregeln für Paare, die Verurteilung von Homosexuellen. Konkret erzählen die Teilnehmenden aber eher vom offenen Austausch innerhalb des christlichen Glaubens und über seine Grenzen hinweg.

Diana stellt sich und ihre Erwartungen an das Treffen vor. Auf die Bemerkung einer Teilnehmerin, dass es nicht schlimm sei, nicht zu glauben, reagiert sie allergisch: „Vielleicht liegt das auch an meinen Erfahrungen, weil ich im christlichen Umfeld oft als nicht richtig christlich angesehen wurde, aber das regt mich so auf, dieses ‚es ist nicht schlimm, wenn du kein richtiger Christ bist.‘ Diese Toleranz, die so von oben herab kommt“, erzählt sie später.

„Es gibt nicht die eine richtige Interpretation“

Die Gruppe kommt nun zum Hauptteil des Treffens: dem gemeinsamen Lesen und Besprechen des aktuellen Predigttextes. Diana richtet sich auf ihrer Couch ein, mit Decken, Tee, zwei Bibelübersetzungen, Papier und Stift. Das Lesen des Bibeltextes fesselt sie eine ganze Weile, dieser Teil ihres Lebens ist nicht mehr so präsent wie früher, aber er gehört definitiv zu ihr. Bei den Worten einer jungen Frau, die davon spricht, dass es nicht die eine richtige Interpretation von Gottes Wort gebe, nickt Diana enthusiastisch. Doch im Laufe der Gesprächs nimmt ihr Interesse ab: „Mich interessiert jetzt eigentlich nicht so besonders, wie die einen Kniefall interpretieren.“

Zum offiziellen Ende der Runde ist die Unterhaltung noch im Gange, doch Diana verabschiedet sich. „So richtig viel hat mir das jetzt nicht gegeben, aber es war ja auch das erste Treffen. Ich fand’s auf jeden Fall cool, mal wieder was zu lesen und mit Menschen darüber zu sprechen. Vielleicht probiere ich’s ja nochmal.“ Dianas Weg zu einem modernen, emanzipierten Glauben – er hat gerade erst begonnen.

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