Symptome

Ich habe diesen Text in den letzten Wochen bestimmt schon zehn- bis zwanzigmal verfasst – in meinem Kopf. Immer wieder habe ich versucht, meine Beobachtungen, Meinungen und Gedanken zu ordnen. Bei jeder Meldung, jedem Kommentar zu Protestaktionen der Letzten Generation. Als ich einen Flyer von ihnen in die Hand gedrückt bekam. Besonders intensiv als ich auf den großartigen Podcast Hitze – Close-up Letzte Generation von Daphne Ivana Sagner und Céline Weimar-Dittmar gestoßen bin. Und eigentlich schon, seit ich Anfang des Jahres einen Klimaaktivisten traf. Nicht von der Letzten Generation und nicht daran interessiert, identifiziert werden zu können. Ich wusste, dass er sich im Kampf für den Klimaschutz an Protestaktionen beteiligt hat, die sich mindestens in juristischen Graubereichen befinden, sich beispielsweise von Autobahnbrücken abseilte. Nach einem einstündigen Gespräch über seine Motive ergab sich ein Bild, das mir erst einmal ein unbehagliches Gefühl verschaffte: Es ging nicht nur um den radikalen Einsatz gegen das Abholzen von Bäumen, es ging um eine tiefe Abneigung gegenüber dem politischen System. Unserem System, das ins Wanken gebracht werden sollte, und das, indem man seine Regeln herausfordert und bricht.

Eine solche Abneigung gegenüber einem demokratischen System wird schnell gefährlich. Aber auch, wenn ich nicht mit allen Forderungen meines Gesprächspartners übereinstimme, gab es etwas an seiner Frustration, das in mir nachhallte. Diese Frustration, die Erkenntnis, dass wir nicht nur ein mehr oder weniger monokausales Problem haben, wie in vergangenen Krisen, sondern, dass sich eine Super-Krise vor uns auftürmt, die systemisch bedingt ist. Die Beschäftigung mit den Kämpfen und Krisen dieser Zeit geht immer wieder auf die großen Systeme zurück. Und in ihrer in der Menschheitsgeschichte ungekannten Macht schreit die Klimakrise geradezu nach einem Systemwandel. Ich kenne diese Frustration von mir. Ich höre sie aus der Rhetorik der Letzten Generation, sie manifestiert sich in der Verzweiflung das eigene Leben, die eigene Gesundheit und Freiheit zu opfern, um für eine lebenswerte Zukunft zu kämpfen.

Die Frage, ob dies der richtige Weg ist, endet in einem Gestrüpp aus Für und Wider, Was wäre wenn und Was könnte sein. Immer wieder stellt sich die Frage von Zweck und Methoden. Bewährte demokratische Vorgehensweisen stoßen im Angesicht des Zeitdrucks an ihre Grenzen. Wollen wir die Demokratie untergraben, um das Klima zu schützen? Gehen wir als vorbildliche Demokrat:innen in den Fluten unter? Oder schaffen wir es, einen demokratischen Weg aus dieser Krise zu finden? Einen Weg, der noch möglich, aber angesichts politischer Lähmungen auf allen Seiten nicht absehbar ist?

So drehen sich die Gedanken. Bei denen, die ab und an auf Demos gehen, sich neben Job und Uni mal mehr, mal weniger engagieren und Texte über ihre Frustration schreiben. Bei denen, die gar nichts mehr von all dem hören wollen. Und bei denen, die alles aufgeben, um ein Handeln zu erzwingen. All das sind Symptome. Reaktionen auf das Gefühl, dass wirklich alles vor die Wand fährt. Und wenn man aktuell in seinen 20ern ist, dann kennt man in seinem politischen Gedächtnis kaum etwas anderes. Ich habe in den 2000ern in Tierfreund-Magazinen aus den 90ern gelesen, dass die Gletscher schmelzen, und kleine Umweltschutzaktionen mit einem Kumpel organisiert. Unser Motto war: Wir machen die Welt immer ein kleines bisschen besser als wir sie vorfinden. Klar, wir waren hoffnungslos optimistische Kinder, die dachten, mit uns kommt die große Wende, das kann ja nicht so schwer sein. Und dann lernt man Jahr um Jahr, dass wir die Welt schlechter vorgefunden haben als wir uns vorstellen können, und für jeden kleinen Schritt, den wir vorwärts machen, die Erde eine Rolle rückwärts macht.

Diese Einsicht hat auch meine Bekanntschaft aus dem radikalen Klimaaktivismus ereilt. Zum Frust, dass aus dem System selbst kein Fortschritt zu schaffen sei, kam der Frust, dass auch das Übertreten seiner Grenzen nicht zu den großen Änderungen verhelfe, die es so dringend brauche. Man widmet sich also stärker seiner Karriere in der Wissenschaft und kleineren linkspolitischen Projekten, die nicht so kräftezehrend sind, wie das Leben auf Bäumen und Auseinandersetzungen mit Polizist:innen. Resignation. Ja, vielleicht ist die unausweichlich, wenn man erwachsen wird. Der Unterschied zu den Generationen vor uns ist, dass unsere Hoffnungslosigkeit wissenschaftlich begründet ist, und nicht vor der Tür steht, sondern den Fuß schon drin hat. Wenn wir es nicht schaffen, uns angemessen zu verteidigen, laufen wir Jahr um Jahr immer tiefer in das offene Messer. Bis wir nicht mehr laufen.

Das schwebt irgendwie über uns allen, egal, wie wir damit umgehen. Ob die Letzte Generation mit ihren Blockaden auf lange Sicht einen Sieg davon tragen und sich in die Geschichte des erfolgreichen zivilen Ungehorsams einreihen kann oder ob sich ihre Mitglieder in einem aussichtslosen Kampf verheizen und die Gräben in unserer Gesellschaft zu immer mehr Zündstoff führen – all das sind letztendlich nur Symptome einer verzweifelten Situation. Wir müssen die Ursache bekämpfen, damit sich die Symptome nicht verselbstständigen.

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