von Dominik
Die Wahrnehmung nimmt ihren Gegenstand als inhaltlich Ganzes.
– Edith Stein in „Einführung in die Philosophie“, S. 224.
Über Edith Stein
Edith Stein, geboren am 12. Oktober 1891 in Breslau, ist eine besondere Persönlichkeit für die Geschichte der Philosophie, vor allem in Deutschland. Ihr vielfältiges Leben lässt sich detailgetreu anhand von Briefen, Notizen, aber auch wissenschaftlichen Abhandlungen nachvollziehen. Wie im letzten Stromkasten der Woche zu lesen ist, ist Edith Stein im Alter von 51 Jahren im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau verstorben. Über 50 Jahre später wurde sie von Johannes Paul II. heilig gesprochen. Dieser Nachruf soll aber von ihrem Einfluss auf die Philosophiegeschichte handeln.
Edith Steins wissenschaftlicher Werdegang
In Edith Steins Jugend gelangen wichtige feministische Durchbrüche in der Philosophie. Als Stein zehn Jahre alt war, promovierte Helene Stöcker als erste Philosophin in Deutschland. 1908 – Edith Stein war 17 Jahre alt – wurde die Berner Philosophin Anna Tumarkin zur ersten Vollprofessorin Europas. Auch Edith Stein selbst gelang mit ihrer Doktorarbeit im Jahr 1916, die den Titel „Zum Problem der Einführung“ trägt, etwas Beeindruckendes: Sie setzte sich bei der Bewerbung um die Promotionsstelle bei Edmund Husserl gegen einen der größten Philosophen des frühen 20. Jahrhunderts durch: Martin Heidegger. Doch die Habilitation, die sie danach anstrebte, blieb ein Traum. Obwohl sie mit Auszeichnung promoviert hatte, lehnten die Universitäten in Freiburg, Göttingen sowie Breslau ihre Habilitationsgesuche ab. Einer wahrscheinlicher Grund dafür war ihr Geschlecht. Die Professorin für Moraltheologie Katharina Westerhorstmann schreibt über Edith Stein, dass diese einen wichtigen Beitrag zu den Frauenrechten in Deutschland geleistet habe. Sie sieht in Edith Stein den Beweis dafür, dass es Wissenschaftlerinnen braucht.
Die Frau – Gefährtin und Gehilfin
Denn Edith Stein habe mit ihrer „Natur der Frau“ nichts anderes beschrieben als einen Vorgedanken des heutigen Verständnisses von „gender“ als soziales Konstrukt. Doch beschreibt Edith Steins „Natur der Frau“ mitnichten die heutige Definition des Begriffs „gender“. Für Edith Stein war das soziale Geschlecht unweigerlich mit dem biologischen Geschlecht verbunden. Sie sah es als Pflicht der Frauen an, sich um Haus und Erziehung zu kümmern, doch schrieb auch, dass Frauen ein Recht auf Arbeit hätten. Denn zum Zeitpunkt des Kampfes um Frauenrechte forderten die Frauen in der Regel ihre Rechte a priori. Als Edith Stein Stellung bezog, tat sie dies jedoch a posteriori. Sie schrieb unter anderem, dass es einer Frau unter Umständen möglich sei, „den »männlichen« Beruf in einen »weiblichen« umzuformen“ (Die Frau, S. 2). So würde ich die These aufstellen, dass Edith Stein im „Frau sein“ nicht allein ihre Emanzipation vom Patriarchat sieht, aber mehr als die Rolle der stillen Ehefrau, die die Kinder gebärt. So sieht sie den Mann nicht als Herrscher über die Frau, sondern die Frau als seine Gefährtin und Gehilfin. Durch die Herrschaft jener Männer aber, vermutete Edith Stein, sei ein Strafzustand eingetreten, welcher die Frau nur biologisch, aber nicht sozial Frau sein lasse, was letztlich dazu führe, dass ihre Fähigkeiten nicht ausgeschöpft werden. Dies führt laut Edith Stein dazu, dass der Mann selbst leidet und selbst zum Sklaven einer durch den Status Quo gegebenen Sklavin wird.
Das späte Werk der Edith Stein
Kurz nach der Machtübernahme durch das NS-Regime wurde Edith Stein zu einer Karmelitin (einer Angehörigen eines Bettelordens). Damit einher ging auch ihr neuer Ordensname: Teresia Benedicta vom Kreuz. Auch in ihrer Klosterzeit veröffentlichte sie Schriften. Darunter fällt unter anderem Endliches und Ewiges Sein. In diesem Werk setzt sich Edith Stein sowohl mit den Thesen ihres Doktorvaters Edmund Husserl als auch mit seinem Nachfolger an der Universität von Freiburg, Martin Heidegger, auseinander. Für viele gilt dieses Werk als das Magnum Opus ihrer Publikationen.
Bereits im Jahr 1939 schrieb Edith Stein neben ihren wissenschaftlichen Abhandlungen, Notizen und Briefen ihr Testament. Hier soll sie laut des Erzbistums Köln geschrieben haben, dass sie den Tod, welchen Gott für sie vorsehe, akzeptieren werde. Ob sie dies unwissentlich der Lage der Jüd:innen in Deutschland und nur ihrem Glauben wegen schrieb, oder bereits aufgrund ihrer jüdischen Herkunft eine dunkle Ahnung hegte, ist nicht bekannt. Drei Jahre später, am 02. August 1942, wurde sie schließlich verhaftet und deportiert. Über Umwege gelang sie schließlich in weniger als sieben Tagen in das KZ Auschwitz-Birkenau, wo sie dem NS-Regime zum Opfer fiel. Als ihr Todestag gilt der 09. August 1942.
Buchempfehlungen
Prof. Westerhorstmann hat bereits bewiesen, dass Edith Stein genug Material für ganze Promotionsarbeiten bietet. Ich wollte jedoch lediglich einen kleinen Einblick in Edith Steins Werk bieten. Dafür empfehle ich vor allem die Werke „Die Frau“ von Edith Stein als auch „Selbstverwirklichung und Pro-Existenz. Frausein in Arbeit und Beruf bei Edith Stein“ von Prof. Katharina Westerhorstmann.
Glossar:
A priori: Von Erfahrung unabhängig; Logisch erschließbar.
A posteriori: Abhängig von Erfahrungen.
Phänomenologie: Eine philosophische Strömung, welche jeglichen Ursprung der Erkenntnisgewinnung in unmittelbar gegebenen Erscheinungen, sogenannten Phänomenen sehen. Ihre bekanntesten Vertreter sind der Begründer Edmund Husserl oder Martin Heidegger.